Aussteiger zeichnen in der Wirtschaftswoche ein kritisches Bild der umstrittenen Branche
(TRD/BNP) Worum es genau gehen sollte, das wollte der Kommilitone Jonas zuerst nicht verraten. Vielleicht ein neues Start up? Nein – nur so viel: Man könne in kurzer Zeit schnell viel Geld verdienen in diesem Job. Der BWL-Student ließ sich zu einem Kennenlern-Termin in ein Bürogebäude in den Abendstunden locken. Der Kommilitone, so erzählt der BMW-Student, habe mit ihm sehr motivierend über Geld, Immobilien und Aktien sowie Mitarbeiterwerbung gesprochen. Daran sei doch auch er interessiert? Damit lasse sich schnell viel Geld verdienen. Zum Beweis habe er spontan und voller Freude seinen Gehaltsschecks gezeigt. 6.500 Euro im Monat. Damit begann dann die Reise in den inneren Kreis eines Strukturvertriebes.

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„Strukkis“ – gefangen im eigenen Vertriebskanal
Möglich machen soll das eine Karriere im Finanzstrukturvertrieb. Diese Strukturvertriebe vermitteln Kundinnen und Kunden Finanzprodukte wie Versicherungen oder Fonds. Dafür kassieren sie von den Banken und Versicherungen für jeden abgeschlossenen Vertrag Provisionen. Die Vertriebe sind streng hierarchisch organisiert. Wer neu dazu kommt, fängt auf der untersten Stufe der Karriereleiter an. Er muss seine Provisionen mit allen über ihm stehenden Vertrieblern teilen. Außerdem geht ein Teil an die Dachorganisation des Vertriebs. (Mehr über das Geschäftsgebaren der „Strukkis“ gibt es aktuell bei der Wirtschaftswoche in einer aktuellen Podcast-Folge der Money Mates.)
Quelle: Youtube
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Der mit Abstand größte deutsche Strukturvertrieb soll die Deutsche Vermögensberatung (DVAG) sein. Im Fernsehen wirbt FC Liverpool-Fußballtrainer Jürgen Klopp für die DVAG. Andere große Vertriebe sind die Ergo Pro, ehemals HMI, sowie die Swiss Life Select, in der der ehemalige AWD-Strukturvertrieb des „Höhle der Löwen“ TV-Protagonisten Carsten Maschmeyer aufgegangen ist. Auch die Vertriebe Tecis, Proventus und Horbach gehören wie Swiss Life Select zum Swiss-Life-Konzern, einem Schweizer Versicherer.
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Dem Lockruf des Geldes folgen
Zu bieten haben sie potenziellen Bewerbern scheinbar einiges. Klar, da ist die Gier nach dem schnellen Geld, das Berufsanfängern in Aussicht gestellt wird: 6.500 Euro, wie im vorgenannten Beispiel sind eher noch bescheiden. Bei Ergo Pro winken Vertriebler auch schon mal mit Gehaltsschecks über 90.000 Euro im Monat, um potenzielle Neu-Vertriebler zu beeindrucken. Konkurrent DVAG, der dieses Jahr eine große Werbekampagne zur Mitarbeitergewinnung gestartet hat, will dabei als besonders familiärer Arbeitgeber punkten und wirbt mit Flexibilität und Weiterbildungsmöglichkeiten schreibt die Wirtschaftswoche.
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Arbeitgeberbewertungen auf Portalen wie kununu scheinen zu bestätigen, dass Strukturvertriebe tolle Bedingungen bieten. 93 Prozent derjenigen, die etwa die DVAG dort bewerteten, empfehlen sie auch weiter. Konkurrent Tecis schneidet mit einer Quote von 97 Prozent sogar noch besser ab und bekam von „Focus“ und kununu dieses Jahr das Siegel „bester Arbeitgeber Deutschlands“ umgehängt – noch vor SAP.
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Gut finde ich alles. Schlecht finde ich nichts
Mit Swiss Life Select landete unter den zehn besten Arbeitgebern des Landes noch ein zweiter Strukturvertrieb. Die Bewertungen lesen sich entsprechend: „Gut finde ich alles. Schlecht finde ich nichts. Verbesserungsvorschläge: keine“, wusste etwa jüngst ein Tecis-Mitarbeiter aus Hamburg auf kununu zu berichten.
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Nichts wie hin also? Wer sich mit ehemaligen Strukturvertrieblern unterhält, bekommt schnell Zweifel an der Außendarstellung. Der WirtschaftsWoche berichten sie von schlechter Bezahlung und hohem Druck. Von der Aussicht aufs schnelle Geld ließ sich etwa Joschka Birgkit locken. Der ehemalige Elektriker war, wie viele andere, zuerst Kunde bei einem Strukturvertrieb und kam so als Branchenfremder ins System. In seinem alten Job sei das Geld am Monatsende stets knapp gewesen.
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Auf Kennenlern-Treffen hätten ihm Vertreter des Vertriebs dann von den unbegrenzten Verdienstmöglichkeiten vorgeschwärmt. Tatsächlich aber blieb das Geld auch dann knapp, als Joschka dort anfing. Denn um Geld zu verdienen, müssen die Vertriebler Verträge verkaufen. Weil die Vertriebler von Anfang an selbstständig sind, müssen sie davon noch alle Kosten tragen – Spesen, Steuern, Versicherungen. Für Joschka ist es zu viel, er muss sich verschulden. „Die ersten zwei Jahre waren die Hölle“, sagt er heute. Für den Vermittler auf der untersten Stufe fällt wenig ab; Joschka erzählt, obwohl er gut verkauft habe, seien ihm anfangs nie mehr als 2000 Euro brutto geblieben.
Die Einsteiger-Provisionen für selbständige Vermittler sind gering
Menschen von Versicherungen oder Fonds zu überzeugen, fällt vielen schwer. Und selbst wenn es gelingt: Die Provisionen, die Einsteiger verdienen, sind im Strukturvertrieb gering. Der Löwenanteil der Courtage, die Kunden beim Abschluss zum Beispiel einer Lebensversicherung zahlen, landet beim Vertrieb selbst und den oberen Hierarchieebenen.
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Auch unser „Beipiel-Student“ arbeitete bis 2018 mehrere Jahre in einem Strukturvertrieb. Er sagt: „Wenn es gut lief, hatte ich 1400 Euro netto im Monat. „ Hinzu kam: Sein Vertrieb habe ein Viertel seiner verdienten Provision einbehalten – als Vorsorge, sollten die Kundinnen und Kunden ihre abgeschlossenen Verträge doch noch stornieren. Das sei in der Branche üblich, liege aber andernorts viel niedriger, so der Familienvater. „Als das Finanzamt mal eine Steuerrückzahlung wollte, konnte ich die nicht auf einen Schlag aufbringen“, erzählt er. Daher habe er seinen Vorgesetzten gebeten, einen Vorschuss aus der Stornoreserve zu bekommen. Doch der hatte anderes im Sinn. „Er sagte mir, dann solle ich halt auf die Weihnachtsgeschenke für die Kinder verzichten.“ Fazit: „Im Vertrieb kümmert sich keine Sau um dich.“ Auch andere ehemalige Vertriebler beklagen die schlechte Bezahlung in der Branche. War wohl nichts mit dicken Autos sowie Koks und Nutten schallt es einem von den Kritikern entgegen. Schnell viel Geld verdient hat keiner von ihnen schreibt die Fachzeitschrift.
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