(TRD/WID) Der Direktor des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Marcel Fratzscher hat sich die Rentenpläne der amtierenden Regierungskoalition genauer angeschaut und hat schlechte Nachrichten für künftiger Rentner. Der Professor für Makroökonomie an der Humboldt-Universität zu Berlin betont in seinem Wirtschafts-Blog: „Wer das Rentenalter erhöht, vergrößert die Zahl der Erwerbsgeminderten.“
Ein blinder Fleck in der Rentendebatte sei, dass jeder fünfte Beschäftigte durch eine Erwerbsminderung – verursacht durch Unfall, Erkrankung oder Behinderung – gar nicht oder nicht voll bis zum Renteneintritt erwerbstätig bleiben könne. „Wird das Renteneintrittsalter erhöht, bedeutet dies somit, dass ein immer größerer Anteil der Beschäftigten in die Erwerbsminderung rutscht“, stellt Fratzscher klar. Und damit werde auch das Armutsrisiko für immer mehr Menschen zunehmen. „Dieses Dilemma muss die Bundesregierung auflösen.“
Eine neue Studie des DIW zeigt ernüchternde Zahlen: 4,5 Millionen Menschen in Deutschland beziehen heute entweder eine Erwerbsminderungsrente (sind also bereits vor dem Renteneintrittsalter erwerbsgemindert) oder waren erwerbsgemindert und sind nun im Ruhestand. Das Armutsrisiko (definiert als Einkommen von weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens) dieser Menschen liegt bei rund 26 Prozent und ist damit fast doppelt so hoch wie für die gesamte Bevölkerung (16 Prozent). Für Menschen unter 65 Jahren liegt das Armutsrisiko sogar bei 34 Prozent, das heißt, ein Drittel aller Erwerbsgeminderten vor der Altersrente ist armutsgefährdet.
„Dies ist ein katastrophales Bild, denn jeder und jede Beschäftigte erwirbt explizit durch die eigenen Rentenbeiträge auch eine Versicherung gegen Erwerbsminderung“, erklärt der Ökonom. „Aber nicht nur, dass überproportional viele Menschen mit niedrigen Einkommen in die Erwerbsminderung rutschen, diese Versicherung ist zudem so gering, dass viele durch eine Erwerbsminderung in Armut geraten und aus dieser Lage ihr Leben lang nicht mehr herauskommen.“
Überproportional betroffen seien Menschen mit geringem Einkommen. Denn es seien meist Menschen mit geringen Löhnen, die durch ihre Berufe ein besonders hohes Risiko an Unfällen und körperlicher und psychischer Belastung hätten. Eine Erhöhung des Renteneintrittsalters würde also unweigerlich die Anzahl der erwerbsgeminderten Beschäftigten erhöhen und gleichzeitig die Ungleichheit und soziale Polarisierung innerhalb der Gesellschaft verstärken.
Erwerbstätigkeit im Alter
Im Jahr 2021 hatten 4,9 Millionen Rentnerinnen und Rentner ein persönliches monatliches Nettoeinkommen von unter 1.000 Euro, teilte das Statistische Bundesamt (Destatis) auf Basis von Ergebnissen des Mikrozensus mit. Das entspricht einem Anteil von 27,8 Prozent der Rentenbeziehenden. Bei Frauen liegt dieser Anteil deutlich höher: 38,2 Prozent der Rentnerinnen hatten ein Nettoeinkommen von unter 1 000 Euro, dagegen nur 14,7 Prozent der Rentner.
Insgesamt bezogen 17,6 Millionen Menschen in Deutschland aus Altersgründen eine Rente, zehn Jahre zuvor gab es nur 16,6 Millionen Rentenbezieherinnen und Rentenbezieher. Auch der Anteil der Rentnerinnen und Rentner an der Bevölkerung in Privathaushalten ist gestiegen: von 20,9 Prozent im Jahr 2011 auf 21,4 Prozent im Jahr 2021.
Für immer mehr über 65-Jährige ist die Erwerbstätigkeit eine wichtige Einkommensquelle – nicht nur weil das Renteneintrittsalter seit 2012 bis 2031 stufenweise von 65 auf 67 Jahre steigt. Schon jetzt sind ältere Menschen deutlich häufiger erwerbstätig als vor zehn Jahren: Im Jahr 2021 arbeiteten 12,9 Prozent der 65- bis unter 75-Jährigen. Zehn Jahre zuvor waren es noch 7,0 Prozent.
Unter den Personen mit Hochschulabschlüssen war der Anteil Erwerbstätiger 2021 mit 20,2 Prozent besonders hoch. Unter den Personen ohne einen beruflichen Abschluss betrug er lediglich 10,4 Prozent. Männer und Frauen unterscheiden sich in ihrer Erwerbstätigkeit auch im fortgeschrittenen Alter: Während 2021 von den 65- bis unter 75-jährigen Männern 16,2 Prozent erwerbstätig waren, waren es bei den Frauen nur 9,9 Prozent.
Arbeiten im Rentenalter kann bedeuten, einer drohenden Altersarmut entgegenzuwirken, den Lebensstandard zu verbessern oder länger aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Für 40,8 Prozent der Erwerbstätigen zwischen 65 und unter 75 Jahren war die ausgeübte Tätigkeit die vorwiegende Quelle des Lebensunterhalts. Damit gab es 2021 in dieser Altersgruppe in Deutschland 470 000 Personen, die überwiegend vom eigenen Arbeitseinkommen lebten.
Für die Mehrheit der 65- bis unter 75-jährigen Erwerbstätigen war dieses Einkommen aber ein Zuverdienst. Sie lebten in erster Linie von ihrer Rente beziehungsweise von ihrem Vermögen (55,9 Prozent).
Eine wachsende Zahl älterer Menschen ist auf staatliche Unterstützung angewiesen. 589.000 Menschen, die die Altersgrenze nach dem SGB XII erreicht oder überschritten haben, erhielten im Dezember 2021 Grundsicherung im Alter. Im Dezember 2021 lag die Altersgrenze bei 65 Jahren und zehn Monaten. Im Jahr zuvor hatten noch 564.000 Menschen Grundsicherung im Alter erhalten.
Auch wenn die Zahl der Empfängerinnen und Empfänger gestiegen ist, so hat sich der Anteil der Senioren, die Grundsicherung im Alter erhalten, über die vergangenen Jahre kaum verändert. 2021 lag er bei 3,4 Prozent. Sehr deutlich sind die Unterschiede in Bezug auf die Nationalität: So liegt die Quote der Empfängerinnen und Empfänger von Grundsicherung im Alter bei Deutschen bei 2,6 Prozent, bei Ausländern dagegen bei 17,5 Prozent.
© Global Press Nachrichtenagentur und Informationsdienste KG (glp)/TRD Wirtschaft und Soziales / Redakteur: Lars Wallerang
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